Für unsere nicht mehr ganz jugendfreie Spätvorstellung…betiteln wir sie mal mit „Mary Lou und der Todeshändler“… verschlägt es uns ins Italien der 70er Jahre unter der Egide von Umberto Lenzi:
Giulio verpatzt als Mitglied einer Gangsterbande einen Coup durch seinen sehr lockeren Finger am Abzug. Die Auftraggeber reagieren erbost und maßregeln Giulio mittels körperlicher Züchtigung. Doch nachdem seine Tränen getrocknet sind, wählt er die Flucht nach vorn und will es endlich allen zeigen. Zusammen mit zwei Komplizen entführt er die Tochter des Chefs seiner Freundin, um eine halbe Milliarde Lösegeld zu erpressen. Dabei macht er mit allen kurzen Prozess, die sich ihm in den Weg stellen. Kommissar Grandi (Henry Silva, „Der Teufel führt Regie“) steht zunächst vor einem Rätsel und als Indizien auf Giulio verweisen, sind ihm rechtlich die Hände gebunden…
Mit dem Charakter des Giulio Sacchi erschuf man unter Mithilfe des genialen Schauspielers Tomas Milian („Der Gehetzte der Sierra Madre“) einen hochinteressanten Gangster-Typus, einen gemeingefährlichen Kindskopf, der weder Verantwortung noch Skrupel kennt, einen größenwahnsinnigen, egozentrischen, dabei bauernschlauen Tunichtgut mit nervösen Zuckungen, der glaubt, sich nehmen zu können, was er will und sich von der Gesellschaft permanent benachteiligt fühlt. Sein Charakter ist der pure Zynismus, wenn er immer wieder auf seine eigene Mittellosigkeit anspielt, einen Spruch nach dem anderen klopft um im Wahn wahllos herumballert. In der Eröffnungssequenz muss zu einem treibenden Score Maestro Morricones zunächst ein nerviger Politess dranglauben, anschließend zerschüsselt’s einige italienische Kleinwagen. Doch wer das bereits für einen bösartigen, actionreichen Einstieg hielt, wird staunen, was der Film noch alles zu bieten hat. Eine unfassbare Entwicklung nimmt ihren Lauf, unbeschreiblicher Sadismus herrscht vor und man schafft es tatsächlich, immer wieder einen draufzusetzen. Milian liefert eine irrsinnige Performance, wird dabei fast schon comichaft überzeichnet und ist Garant für den bösartigen Humor des Films.
Rund 95 rasant und technisch einwandfrei umgesetzte Minuten lang sieht man Milian über Leichen gehen, kaum zwischen Freund und Feind unterscheiden, rigoros ein Todesurteil nach dem anderen vollstrecken. Seine Aura eines leicht zu unterschätzenden Großmauls, dessen Gefahr oftmals erst erkannt wird, wenn es zu spät ist, wirkt beunruhigend und faszinierend auf den Zuschauer zugleich. Lenzi sollte zukünftig noch viele weitere Poliziesci inszenieren, Milian an vielen weiteren beteiligt sein. Mein Streifzug durch den internationalen Polizei-/Gangster-/Mafiafilm und Polit-/Justiz-Thriller mit Schwerpunkt auf Italien erweist sich immer wieder als wahre Wundertüte voller Überraschungen und ich kann es kaum erwarten, mehr davon zu sehen. Der Stoff liegt schon bereit, wird säuberlich eingeteilt und alsbald gedrückt werden. „Mit dem Verstand ist so was nicht zu erklären!“
buxtebrawler (deliria-italiano.de)